Bei Ilse und Willi auf'm Land
Reinhard Mey
Eine Handvoll Kinder in der kleinen Küche,
Lachen und krakeel'n, und Schwager Roberts Sprüche,
Oma in der Fensterbank, im Korb schnarcht der Hund,
Ulla deckt den Küchentisch, es geht wieder rund.
Kaffee auf'm Herd und Braten in der Röhre,
Kein Platz auf der Welt, wo ich jetzt lieber wär', ich schwöre!
Die Füße unterm Tisch, die Gabel in der Hand
Bei Ilse und Willi auf'm Land!
Vor mir auf dem Schreibtisch türmen sich Papiere,
Höchste Zeit, daß ich die wenigstens sortiere.
Fang' ich hinten an oder von vorn?
Völlig wurscht, den Überblick hab' ich doch längst verlor'n.
Ich räum' sie von einer auf die andre Seite,
Fabelhaft wie unermüdlich ich arbeite,
Bis der ganze Ramsch mir vor den Augen verschwimmt
Und ein Bild erscheint, das mich fröhlich stimmt:
Autobahnkreuz Frankfurt Süd, Wagen an Wagen,
Seit zwei Stunden spür' ich, wie wir Wurzeln schlagen.
Schön, aus dem Radio jetzt zu erfahr'n:
„Wir empfehlen, den Stau weiträumig zu umfahr'n."
Gummibärchen, Chips und Kekse aufgegessen,
Thermos leer, und mein Gesäß ist durchgesessen,
Die Zeitung kenn' ich auswendig, mir knurrt der Bauch,
Und jetzt singt Peter Alexander, und müssen muß ich auch.
Schon seit heute morgen, ohne Unterbrechung,
Langweil' ich mich tödlich in dieser Besprechung,
Und beim Versuch „Wie int'resssant" zu lall'n,
Bin ich schon zweimal vornüber auf den Tisch gefall'n.
Ich kann nicht mehr blinzeln, ich kann nicht mehr denken,
Nicht mehr mit den Tischnachbarn, Schiffe versenken.
Jetzt meld' ich mich zu Wort: „Ich will hier raus,
Wer von den Herren nimmt mich ,Huckepack' und trägt mich nach Haus?"