Des Schleusenwärters Blindes Töchterlein
Ulrich Roski
Im alten Spandau an der schönen Havel
Steht eine Schleuse und die riecht nach Fisch
Jedoch am Schleusentor winkt eine Tafel
Da steht geschrieben: Wasser täglich frisch
Der alte Schleusenwärter klinkt die Spunten
Und wenn es achtern aus den Rahen drulpt
Pinnt er die Klieken über Luv nach unten
Dann wird die Kelling in den Wind gehulpt
Am Schleusenrand im Abendscheine
Steht eine liebliche Gestalt
Sie hält den Schleusenkater an der Leine
Sie fasst ihn sicher und sie gibt ihm Halt
Das ist des Schleusenwärters blindes Töchterlein
Das winkt die Schiffe ein mit sanftem Schwung
Und mancher Havelschiffer hält mit Schiffen ein
Und grinst sie an: Sie ist ja noch so jung!
Mit weißer Mütze stand auf der Barkasse
Ein wohlgestalter junger Maat
Und dem gefiel des Wärters Sohn, der Lasse
Die Tochter aber fand er fad
Er ging ins Schleusenhaus mit jenem Knaben
Wo er mit ihm ein Rendezvous besprach
Doch auch die Tochter rief: „Den will ich haben!"
Und schlich ihm heimlich in die Koje nach
Der Maat legt Hand an ihre Hüfte
Und zwickt sie auch, da sprach sie: "Au!"
Doch als er sie dann näher prüfte
Rief er: "Verflucht, das ist ja eine Frau!".
Ja, ja, des Schleusenwärters blindes Töchterlein
Kam statt des Bruders in der Dämmerung
Jedoch der junge Maat hat es zu spät geahnt
Wie gesagt, sie war ja noch sehr jung
Und als der Schnösel sie nicht haben wollte
Lief sie zum Vater, der die Wanten spliss
Ob dieser Schmach ward er erbost und grollte
Bis er vor Wut in einen Tampen biss
Er schlenzte ihn und er kalpaukte
Maschkäute ihn und holt' ihn Kiel
Und als der Maat dann schließlich nichts mehr taugte
Warf er ihn in den feuchten Priel
Das sah der Lasse an, der schlanke Bruder
Der schalt den Vater einen krummen Hund
"Er war mein Freund" rief er und griff ein Ruder
Und stieß den Wärter in den kühlen Grund
Na, und des Schleusenwärters blindes Töchterlein
Das sah ihm traurig nach, wie er ertrunk
Warf eine Hand voll Sand ins Wasser rein
Und sang "Fahrt wohl, ihr wart ja noch so jung!"
Die Schleusenwärterin saß auf dem Poller
Die Hand am Kinn und dachte bein se bein
Sie sah den Mord, da rief sie: "Ach mein Oller!
Jetzt biste hin das muss gerochen sein."
Zum Sohn sprach sie: "Du musst jetzt scheiden!"
Und schnitt ihm rasch die Kehle ab
Die Blinde aber mocht's nicht leiden
Und stieß die Mutter in das feuchte Grab
Und aus der Schleusenkammer kam die Oma
Die einen Jüngling unterm Herzen trug
Sie hat ein köstliches Aroma
Weil sie grad Butterkuchen buk
Die nahm des Schleusenwärters blindes Töchterlein
Und warf es auch hinein zur letzten Ruh
Doch ach, der Schleusenkater stellt auch ihr ein Bein
Da fiel die Schleusenoma noch dazu
Die alte Schleuse oben an der Havel
Die ist voll Blut und stinket fürchterlich
Jedoch das macht ja nichts, verheißt die Tafel
Das Wasser ist ja morgen wieder frisch!